r - rahmen

mental - das festival zu schizophrenie

(ihr gesicht) bedrohlich kalt
geschreckt von etwas, das fragt aber nicht lächelt (der körper) dreht sich, achsenlos, schwappt knapp, reckt nach ihr
fremd streckt sie hände aus, ohne antwort
da sind fäden, die ziehen nach unten
(der schlamm) der verräter scheint ein spiel zu spielen
die teilnahme erfordert keine bereitschaft, nur hingabe

atmen wie ein großes (etwas), das antwortet aber nicht lacht
atem wie ein schiff auf see
da sind blüten, dem schlamm entwachsen
das dunkel birgt
(sie)
ist lotus,
wird zum schlamm

hingebend, fällt nass ab

und doch
abdrücke,
großspurig

gnädig weicht matsch,

eine bewegung
das erste mal
aus einer mitte
heraus

Der kleine, luftarme Kellerraum ist zu eng für den Applaus. Das Ende einer
Performance drückt das Publikum die Wände entlang. Bewegung, die eben nur einem Körper bestimmt war, strömt nun in die herumstehenden Menschen. Und doch weilen Einige - angezogen von dem intimen Ort, an dem die Performerin gerade in Schlamm verwelkte. Es ist ein abgesteckter Rahmen aus Holz, gefüllt mit matschigem Ton.

In ihm ein rosa Tütü, eingewickelt in verwirbelte Abdrücke, Spuren des vergangenen Lotus. Das schlammgetränkte Kostüm wird sie nicht mehr entwirren können. “Der Schlamm war so schwer, der Kampf um das Hochziehen - Oben-Bleiben, Nicht-Fallen, Nicht-Welken - das wurde richtig existentiell. Ich musste gucken, dass ich keine Atemnot kriege”, beschreibt Sara. Mit ihrem rosa-getünchten Körper, langsam im schlammigen Grund zusammenbrechend, erzählte sie performativ die repetitiven Zyklen der Schizophrenie-Erfahrungen ihrer Projektpartnerin Ngoc. Die Performance “NO MUD NO LOTUS” haben sie gemeinsam für das Kunstfestival zu Schizophrenie “mental” entwickelt.

Acht Künstler:innen mit und ohne Schizophrenie-Erfahrungen arbeiteten hierfür an gemeinsamen Exponaten, die im Juni 2022 in Berlin zu sehen waren. Noch bevor man in die Räume am Moritzplatz eintritt, fallen die Linien einer überdimensionierten Strichliste durch das Fenster auf die Straße. Wie Gitter benetzen sie das Glas, das Außen und Innen trennt. “Jeder Strich steht für einen erlebten, erlittenen und zugleich gewonnenen Tag”, erklären die Künstler:innen. Sie laden Rezipierende dazu ein, eine eigene Strichliste anzulegen. Am Ende der Ausstellung werden alle Strichlisten in einem gemeinsamen Ritual verbrannt.

Diese Interaktivität wirkt in allen Werken der Ausstellung. Durch eigene

Handlungsmöglichkeiten bekommen Rezipierende die Gelegenheit, sich in die inneren Prozesse der Betroffenen einzufühlen. Die Exponate erfahrbar und damit emotional zugänglich zu machen, kann dann zu De-Stigmatisierungsprozessen beitragen. Das ist das Ziel des Pop-up-Institutes, welches den Rahmen für die Ausstellung ermöglichte. Betroffenheit soll, insbesondere für Heranwachsende, vermittelbar werden. “Es braucht Vulnerabilität. Wenn man sich verwundbar zeigt, kann kurz der Vorhang gelüftet werden und dann kann man auch dahinter schauen”, verbildlicht Sara den Ansatz. “Menschlichkeit und Emotionen zu zeigen ist das Kraftvollste, was wir tun können. Dazu gehört Mut.”

Dafür mussten die Künstler:innen selbst auch den Aufklärungsbegriff noch einmal neu verstehen lernen. “Die Transformation, die Kunst innewohnt und die Wirkungsmacht von Künsten wurde in dem Projekt ganz essentiell", fügt Sara hinzu. Die Zusammenarbeit mit Ngoc habe Beklemmungsbarrieren abgebaut. “Ich hatte keine Angst, Ngoc irgendetwas Unangenehmes zu fragen.” Denn Ngoc’s Schizophrenie-Erfahrung wird in der künstlerischen Bearbeitung zur Expertise. “Wir haben uns dafür entschieden - auch mit dem Wissen, dass es eine Grenzerfahrung sein wird”, sagt Ngoc selber. Damit sei auch eine Art Selbsterlaubnis einhergegangen und damit die Möglichkeit, dialogisch zu arbeiten: Ihre Gedanken zueinander fließen zu lassen und so gemeinsam künstlerische Übersetzungen von innerpsychischen Prozessen zu finden. Beim Durchdringen des Erfahrungsrahmens des Anderen gelangt man auch auf den Grund des eigenen Inneren. “In dem Moment, in dem ich mich einem Thema annehme, wird es auch zu meinem eigenen”, erzählt Sara. So wird der Lotus, Ngoc’s langwährender Begleiter, nun auch zu einem Teil von Sara.

Die Performance “NO MUD NO LOTUS” schließt die Ausstellung. Die kompositorische Trilogie: der Schlamm - die akute Phase, der Lotus - das Blühen und der Zwischenraum der stabilen Phase. Sie fand zuletzt Auflösung in einer Umdeutung. Denn die Wurzeln des Lotus brauchen den schlammigen Boden. Und so wird jede Berührung des rosa Körpers mit dem Matsch auch organischer und das forcierte Bestreben zum Blühen anstrengender, sodass die schlussendliche Hingabe in den Schlamm fast befreiend wirkt. “Man hat es so vorausgesehen, man wusste: Oh jetzt passiert es - jetzt fällt sie um! Aber man stand außerhalb des Rahmens und konnte nicht helfen”, beschreibt eine Zuschauerin.

Und so baut der kleine hölzerne Rahmen mit dem abgrenzenden Charakter doch eine Brücke und lässt das Publikum zu Angehörigen werden. Erst als der Körper, nun braun-grau und nicht mehr rosa, in seinen eigenen Abdrücken liegt, betritt Ngoc den Raum. Sie legt frische Blüten auf den vergangenen Korpus. Die Performance kennt, wie auch die Schizophrenie, keine Eindeutigkeit.